Zum Anspruch auf finanziellen Ausgleich für geleistete Vorgriffsstunden und Verzicht auf Altersermäßigung

Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 16.09.2011 – 19 Sa 2114/10

Der finanzielle Ausgleich für geleistete Vorgriffsstunden sowie für den Verzicht auf Altersermäßigung nach Maßgabe der Mehrarbeitsvergütungsordnung für Beamte in NRW stellt bei teilzeitbeschäftigten Lehrkräften einen Verstoß gegen § 4 Abs. 1 TzBfG dar.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 15.10.2010 4 Ca 1037/10 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und der Tenor wie folgt neu gefasst:

Das beklagte Bistum wird verurteilt an die Klägerin 928,20 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.07.2010 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 26 % und das beklagte Bistum zu 74 %.

Die Revision wird zugelassen.

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Tatbestand
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Die Parteien streiten um die Höhe eines finanziellen Ausgleichs für geleistete Vorgriffsstunden und den Verzicht auf Altersermäßigung.
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Die am 06.02.1949 geborene, verheiratete Klägerin war seit dem 01.02.1973 bei dem beklagten Bistum als Lehrerin im Kirchendienst beschäftigt. Der Umfang der Beschäftigung richtete sich nach den für entsprechende hauptamtliche Lehrer an vergleichbaren öffentlichen Schulen geltenden Bestimmungen. Die Dienstbezüge wurden nach Maßgabe der besoldungsrechtlichen Bestimmungen, die für vergleichbare Landesbeamte gelten, gezahlt.
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Zuletzt war die Klägerin in Teilzeit mit 14 Pflichtstunden pro Woche beschäftigt.
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Sie erhielt eine Vergütung entsprechend der Besoldungsgruppe A13, wobei sich aufgrund der Stufenzuordnung und der Berücksichtigung der Teilzeitbeschäftigung ein Grundbezug von 1.960,29 EUR, zuzüglich Familienzuschlag in Höhe von 52,64 EUR und VL-Zulage in Höhe von 3,33 EUR, mithin ein Gesamtbrutto von 2.016,26 EUR ergab (vgl. Bl. 50 d.A.).
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Seit dem 01.08.2006 befindet sich die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen im Vorruhestand.
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Gemäß § 4 der Verordnung zur Ausführung des § 93 Abs. 2 SchulG NW hatte das Ministerium für Schule und Weiterbildung die wöchentliche Pflichtstundenzahl vorübergehend für einen bestimmten Personenkreis, zu dem auch die Klägerin gehörte, um eine Stunde erhöht.
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Dementsprechend leistete die Klägerin im Umfang von 52 Wochen jeweils eine sog. Vorgriffsstunde.
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Die erbrachten Stunden sollten dann schrittweise ab dem Schuljahr 2008/2009 durch Absenkung der jeweiligen Pflichtstundenzahl in Freizeit ausgeglichen werden. Durch den Eintritt der Klägerin in den Vorruhestand war dies allerdings für sie nicht mehr möglich, so dass die bereits geleisteten Vorgriffsstunden gemäß der Verordnung zur Ausführung des § 5 Schulfinanzgesetz finanziell abzugelten waren. Nach dieser Verordnung sollte sich die Höhe der Ausgleichszahlung nach den Sätzen der Mehrarbeitsvergütung bestimmen, die für Beamtinnen und Beamte im Zeitpunkt des Entstehens des Ausgleichsanspruchs gelten. Für die Klägerin als Realschullehrerin sah § 4 Abs. 3 Nr. 3 der Verordnung über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung für Beamte in Nordrhein-Westfalen einen Stundensatz von 22,11 EUR vor.
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Ausgehend vom Wortlaut der genannten Verordnungen zahlte das beklagte Bistum an die Klägerin daher als Ausgleich für die geleisteten Vorgriffsstunden nach vorhergehender außergerichtlichter Korrespondenz einen Betrag in Höhe von 1.149,72 EUR brutto, der sich aus 52 Stunden multipliziert mit dem Mehrarbeitssatz von 22,11 EUR ergab.
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Ab dem Schuljahr 2004/2005 hätte für die Klägerin ferner die Möglichkeit bestanden, die sog. Altersermäßigung im Umfang von 0,5 Stunden in Anspruch zu nehmen, worauf sie jedoch im Hinblick auf eine beabsichtigte Altersteilzeit ab dem 59. Lebensjahr verzichtete (vgl. § 2 Abs. 2 der Verordnung zur Ausführung des § 93 Abs. 2 Schulgesetz i.V.m. Ziff. 1.2 des Runderlasses Altersteilzeit für Lehrerinnen und Lehrer im Beamtenverhältnis).
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Da die Klägerin aufgrund der vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand auch die beabsichtigte Altersteilzeit nicht mehr antreten konnte, war für den Verzicht auf Altersermäßigung ebenfalls ein finanzieller Ausgleich zu leisten. Das beklagte Bistum richtete sich nach § 2 Abs. 2 der Verwaltungsvorschriften zur Verordnung zur Ausführung des § 93 Schulgesetz bzw. nach Ziff. 1.2 der Durchführungsbestimmungen der Altersteilzeit für Lehrerinnen und Lehrer im Beamtenverhältnis und zog wiederum die Sätze der Mehrarbeitsvergütung heran.
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Das beklagte Bistum zahlte bezogen auf den Verzicht auf Altersermäßigung einen Gesamtbetrag von 862,29 EUR brutto, der sich zusammensetzte aus 39 Unterrichtswochen hochgerechnet auf zwei Schuljahre multipliziert mit 0,5 Wochenstunden, wiederum multipliziert mit dem Mehrarbeitsvergütungssatz von 22,11 EUR pro Stunde.
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Mit der am 31.05.2010 beim Arbeitsgericht Münster eingegangenen Klage hat die Klägerin eine weitere Zahlung von zuletzt 1.263,99 EUR als Abgeltung der Vorgriffsstunden sowie des Verzichts auf die Altersermäßigung begehrt.
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Die Klägerin hat erstinstanzlich angeführt, das Abstellen auf den Mehrarbeitsvergütungssatz von 22,11 EUR brutto sei unwirksam, vielmehr habe die Zahlung auf Grundlage ihres persönlichen, durchschnittlichen Stundenlohnes zu erfolgen.
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Die Zahlung nur des Mehrarbeitssatzes stelle eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von aktiven und nicht aktiven Lehrbeamten dar. Noch im Dienst befindliche Kollegen könnten bei vollem Lohn im Schuljahr 2008/2009 eine Stunde weniger arbeiten, bei zwischenzeitlich beförderten Kollegen läge quasi sogar eine Lohnerhöhung vor. Es sei nicht nachvollziehbar, warum sie dann nur den geringeren Mehrarbeitsvergütungssatz erhalten solle.
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Eine weitere sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung folge daraus, dass sie als Teilzeitbeschäftigte für die 15. Unterrichtsstunde nur den reduzierten Satz erhalten solle, während jeder vollzeitbeschäftigte Kollege für seine 15. Stunde den vollen Lohn erhielte. Bereits nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 13. März 2008, Az. 2 C 128.07) und des Europäischen Gerichtshofes (Urteil vom 06. Dezember 2007, C-300/06) sei die Mehrarbeitsvergütungsordnung nicht anwendbar, da sie eine mittelbare Diskriminierung von Frauen und damit einen Verstoß gegen Artikel 141 EG beinhalte.
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Die auszugleichenden Stunden seien ihr daher mit dem vollen, sich aus der üblichen Bruttovergütung von 2.016,25 EUR ergebenden Stundensatz, mithin 36,00 EUR brutto, abzugelten.
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Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
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das beklagte Bistum zu verurteilen, an sie insgesamt 1.263,99 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.03.2010 zu zahlen.
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Das beklagte Bistum hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das beklagte Bistum hat die Auffassung vertreten, die abzugeltenden Stunden seien zutreffend berechnet worden.
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Eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von aktiven Lehrern und solchen, die sich im Ruhestand befinden, läge ebenso wenig vor, wie eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Teilzeitkräften gegenüber Vollzeitkräften.
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Die Entscheidungen, auf die die Klägerin verweise, bezögen sich auf die Voraussetzungen der Vergütung von Mehrarbeit. Bei den Vorgriffsstunden handele es sich aber nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gerade nicht um Mehrarbeit, sondern um eine langfristig ungleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit.
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Maßgeblich sei daher allein § 48 Abs. 3 BBesG, der nur im Wege des Rechtsfolgenverweises auf die Stundensätze der Mehrarbeitsvergütungsordnung Bezug nehme.
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Zu berücksichtigen sei, dass sowohl für Teilzeitbeschäftigte als auch für Vollzeitbeschäftigte die Sätze der Mehrarbeitsvergütungsordnung identisch seien und die Vorschriften über Vorgriffsstunden und Verzicht auf Altersermäßigung Männer und Frauen gleichermaßen betreffe. Dies habe auch das VG Düsseldorf am 12.95.2009 zum Aktenzeichen 26 K 8721/08 überzeugend ausgeführt.
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Mit Urteil vom 15.10.2010 hat das Arbeitsgericht Münster die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, das beklagte Bistum habe die finanzielle Abgeltung der Vorgriffsstunden bzw. des Verzichts auf Pflichtstundenermäßigung nach Maßgabe der einschlägigen Verordnungen vorgenommen. Die Wirksamkeit der Verordnung würde keinen Bedenken begegnen, da zum einen eine Gleichbehandlung zwischen aktiven und bereits im Ruhestand befindlichen Lehrkräften nicht möglich und zum anderen eine Ungleichbehandlung von Teilzeitkräften gegenüber Vollzeitkräften nicht erkennbar sei. Entscheidend wäre vielmehr, dass alle aus dem aktiven Dienst ausgeschiedenen Lehrer einheitlich die Abgeltung unter Zugrundelegung der Sätze für Mehrarbeit erhielten. Darüber hinaus sei nicht ersichtlich, wie die Klägerin den von ihr behaupteten Stundensatz von 36,00 EUR errechne.
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Gegen das ihr am 09.11.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 06.11.2010 Berufung beim Landesarbeitsgericht Hamm eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis zum 10.02.2011 am 01.02.2011 begründet.
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Die Klägerin führt im zweiten Rechtszug vertiefend aus, die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen aktiven Lehrkräften und vorzeitig ausgeschiedenen Lehrkräften ergebe sich daraus, dass wertmäßig die Abgeltung einer Stunde in Höhe von 22,11 EUR einer gewährten Freistunde nebst entsprechender Vor- und Nachbereitung eben nicht gleich stünde. Die Beträge von 22,11 EUR und 36,00 EUR stellten eine erhebliche unterschiedliche Behandlung dar.
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Der Betrag von 36,00 EUR sei auch seitens des beklagten Bistums der Höhe nach nicht bestritten worden.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 15.10.2010 – 4 Ca 1037/10 – abzuändern und das beklagte Bistum zu verurteilen, an sie 1.263,99 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.07.2010 zu zahlen.
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Das beklagte Bistum beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Es hat zweitinstanzlich vertiefend ausgeführt, dass bei einem wie hier vorliegenden “Störfall” dieser selbst den Sachgrund für die unterschiedliche Behandlung von aktiven und im Ruhestand befindlichen Lehrkräften bilde.
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So habe auch das Landesarbeitsgericht Köln am 26.03.2010 zum Aktenzeichen 11 Sa 1253/09 bestätigt, dass die Anknüpfung des Verordnungsgebers an die Mehrarbeitsvergütung zwar nicht zwingend, wohl aber ein angemessener Ansatz zur finanziellen Bewertung der zusätzlich absolvierten Stunden darstelle.
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Eine Ungleichbehandlung zwischen vollzeitbeschäftigten und teilzeitbeschäftigten Lehrkräften läge bereits begrifflich nicht vor.
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Der Stundensatz sei durch die Klägerin unzutreffend berechnet worden, so dass es insoweit bereits an der Schlüssigkeit der Klage fehle.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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I. Die von der Klägerin eingelegte Berufung ist zulässig.
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Sie ist statthaft gemäß § 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG. Ebenso wurde sie form- und fristgerecht eingelegt bzw. begründet, § 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO.
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II. Die Berufung ist auch überwiegend begründet.
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Das beklagte Bistum ist verpflichtet, der Klägerin für die geleisteten Vorgriffsstunden sowie den Verzicht auf Altersermäßigung eine finanzielle Abgeltung zu leisten, deren Höhe sich nach dem durchschnittlichen, auf eine Pflichtstunde entfallenden Entgelt berechnet.
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Der Anspruch der Klägerin folgt aus §§ 611, 612 BGB i.V.m. dem zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag.
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1. Zwischen den Parteien besteht dem Grunde nach Einigkeit darüber, dass gemäß § 48 Abs. 3 BBesG i.V.m. § 93 Abs. 2 Schulgesetz NW i.V.m. § 4 der Verordnung zu § 93 Abs. 2 Schulgesetz i.V.m. §§ 2, 3 der Ausgleichszahlungsverordnung Vorgriffsstunde insgesamt 52 von der Klägerin geleistete Vorgriffsstunden abzugelten sind. Ferner hat nach § 2 Abs. 2 der Verwaltungsvorschriften zur Verordnung zur Ausführung des § 93 Schulgesetzes sowie Ziff. 1.2 der dazu ergangenen Durchführungsbestimmungen ein finanzieller Ausgleich des Verzichts auf Altersermäßigung zu erfolgen, der sich auf insgesamt 39 Stunden beläuft.
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Insgesamt ist ein finanzieller Ausgleich für 91 Stunden zu leisten.
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2. Für beide Konstellationen, Vorgriffsstunden und Verzicht auf Altersermäßigung, erfolgt hinsichtlich der Höhe der Abgeltung ein Verweis auf die Mehrarbeitsvergütungsverordnung NW, die für den Fall der Klägerin einen Abgeltungssatz in Höhe von 22,11 EUR pro Stunde vorsieht.
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Dies hat das beklagte Bistum zugrunde gelegt und an die Klägerin insgesamt 2.012,01 EUR als Abgeltungsbetrag gezahlt.
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3. Damit sind die Ansprüche der Klägerin indes nicht vollständig erfüllt, § 362 BGB, da ihr ein Anspruch auf Vergütung entsprechend des sich aus dem Bruttolohn ergebenden Stundensatzes zusteht.
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a) Die finanzielle Abgeltung nur auf der Basis der Mehrarbeitsvergütungsverordnung NW stellt einen Verstoß gegen § 4 TzBfG dar.
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Das von der Beklagtenseite angeführte Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 26.03.2010, 11 Sa 1253/09 ist vorliegend nicht einschlägig, da es im dortigen Fall gerade nicht um eine Teilzeitkraft ging.
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Die Klägerin war teilzeitbeschäftigt mit einer wöchentlichen Pflichtstundenzahl von 14.
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b) Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG darf ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Demgemäß ist nach § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten entspricht.
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Die Klägerin wurde von dem beklagten Bistum bei gleicher Arbeitsleistung schlechter als ein vollzeitbeschäftigter Lehrer vergütet, denn die Klägerin erhielt für ihre 15.Unterrichtsstunde in der Woche eine geringere Vergütung als ein vollzeitbeschäftigter Lehrer für seine 15. Unterrichtsstunde.
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Eine Ungleichbehandlung wegen Teilzeitarbeit liegt immer dann vor, wenn die Dauer der Arbeitszeit das Kriterium darstellt, an welches die unterschiedliche Behandlung bei den Arbeitsbedingungen anknüpft. Vollzeit- und Teilzeitkräfte werden daher ungleich vergütet, wenn für jeweils die gleiche Stundenzahl nicht die gleiche Gesamtvergütung erzielt wird (vgl. BAG, Urteil vom 24.09.2008, 6 AZR 657/07, NZA-RR 2009, 221; Erfkom-Preis, 11. A., § 4 TzBfG, Rdnr. 25; Sievers, 3. A., § 4 TzBfG, Rdnr. 15).
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Da die beamtenrechtlichen Vorschriften für Mehrarbeit von teilzeitbeschäftigten Beamten deutlich niedrigere Bezüge vorsehen als für die regelmäßige vertragliche Arbeitszeit, erhält eine beamtete Teilzeitkraft, die mehr Stunden leistet, eine anteilige Vergütung, die nicht derjenigen eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Beamten entspricht (vgl. BAG, Urteil vom 24.09.2008, a.a.O.; BAG, Urteil vom 21.04.1999, 5 AZR 200/98, NZA 1999, 410; Sievers, 3. A., § 4 TzBfG, Rdnr. 19).
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Dies ist unwirksam.
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c) Soweit sich das beklagte Bistum unter Hinweis auf die Rechtsprechung des VG Düsseldorf ( Urteil vom 12. 05. 2009, 26 K 8721/08, juris ) darauf beruft, auch Vollzeitbeschäftigte erhielten als finanziellen Ausgleich nur den Regelsatz nach der Mehrarbeitsvergütungsverordnung, so dass bereits aus diesem Grund eine Ungleichbehandlung ausscheide, verfängt diese Argumentation nicht.
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Es ist unerheblich, dass vollzeitbeschäftigte Lehrer gleichermaßen die Abgeltung in Höhe von 22,11 EUR erhalten. Entscheidend ist allein, ob die Gesamtvergütung der Klägerin als Teilzeitkraft mit der Gesamtvergütung eines Vollzeitarbeitnehmers übereinstimmt, soweit sie dieselbe Arbeitszeit leistet.
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d) Ebenso wenig Bedeutung hat der Hinweis, die Regelungen zu Vorgriffsstunden und Altersermäßigung treffe Männer und Frauen gleichermaßen.
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Dies ist zwar zweifellos richtig, führt im vorliegenden Fall jedoch zu keinem anderen Ergebnis. Die Kammer stellt allein auf eine unzulässige Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten, nicht jedoch auf eine unzulässige Diskriminierung wegen des Geschlechts ab.
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Das Benachteiligungsverbot des § 4 Abs. 1 TzBfG hat einen weiten Anwendungsbereich, der nicht auf Fälle der Geschlechtsdiskriminierung beschränkt ist, sondern sich über die Gleichheit des Arbeitsentgeltes hinaus auch auf die Gleichheit der sonstigen Arbeitsbedingungen erstreckt. Ein etwaiger Verstoß gegen Art. 141 EG ist insoweit nachrangig (vgl. BAG, Urteil vom 24.09.2008, a.a.O.).
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Nur der Vollständigkeit halber sei jedoch Folgendes ausgeführt: Wesen der mittelbaren Diskirminierung ist es gerade, dass bestimmte Vorschriften zwar geschlechtsneutral formuliert und angewandt werden, sie jedoch aufgrund tatsächlicher Besonderheiten überwiegend ein Geschlecht betreffen und sich dort negativ auswirken. Auch im Bereich der angestellten Lehrkräfte ist es so, dass Teilzeittätigkeit überwiegend von Frauen ausgeübt wird, so dass der Weg für einen Verstoß gegen Art. 141 EG frei wäre.
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e) Darüber hinaus hat das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 12.01.2005, 5 AZR 145/04, AP Nr. 27 zu § 1 TVG) in der Tat entschieden, dass es sich bei den Vorgriffsstunden nicht um Mehrarbeit, sondern um eine langfristige Umverteilung der Arbeitszeit handelt. Ebenso hat das Bundesverwaltungsgericht am 23.06.2005, 2 C 21.04 entschieden, dass auch die Altersermäßigung keine Mehrarbeit darstellt. Dieser Rechtsauffassung schließt sich auch die hier erkennende Kammer an.
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Auch ohne das Vorliegen von Mehrarbeit im eigentlichen Sinn ändert sich aber nichts an der Tatsache, dass der Anknüpfungspunkt die Dauer der Arbeitszeit ist. Zwar handelt es sich bei § 48 Abs. 3 BBesG nur um einen Rechtsfolgenverweis, dies berührt jedoch nicht die Unwirksamkeit der unterschiedlichen Vergütung.
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In diesem Zusammenhang können die von der Klägerin angeführten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes vom 06.12.2007, C-300/06 sowie Bundesverwaltungsgericht vom 13.03.2008, 2 C 128.07 aus Sicht der Kammer sehr wohl ebenfalls zur Begründung herangezogen werden. In beiden Entscheidungen kam es inhaltlich nicht auf das Vorliegen von Mehrarbeit an, entscheidend war vielmehr, ob teilzeitbeschäftigte Beamte für die Arbeit, die sie über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus bis zu der Stundenzahl leisten, die ein vollzeitbeschäftigter Beamter im Rahmen seiner Arbeitszeit erbringen muss, schlechter vergütet werden als vollzeitbeschäftigte Beamte, sofern – im Hinblick auf Art. 141 EG – von allen Beschäftigten, für die diese Regelung gilt, ein erheblich höherer Prozentsatz weiblicher als männlicher Beschäftigter betroffen ist und die Ungleichbehandlung nicht durch Faktoren sachlich gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. In diesem Sinn hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof ( Urteil vom 30.06.2009, 1 A 395/08, ESVGH 60, 50-52 ) hinsichtlich der dortigen Mehrarbeitsvergütungsverordnung auch vor dem ausdrücklichen Hintergrund, dass Vorgriffsstunden keine Mehrarbeit darstellen, entschieden, die Mehrarbeitsvergütungsverordnung sei der Höhe nach europarechts- und verfassungskonform auszulegen, so dass eine anteilige Besoldung gewährt müsse (vgl. ebenso VG Darmstadt, Urteil vom 28.10.2009, 1 K 1408/08.DA, juris; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10.02.2010, 1 K 2179/09, juris).
69

Maßgeblich bleibt allein, dass die Klägerin nicht dasselbe Entgelt erzielte, welches ein vollzeitbeschäftigter Lehrer für dieselbe Stundenanzahl pro Woche erhalten hätte.
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f) Sachliche Gründe bzw. Rechtfertigungsgründe für die unterschiedliche Bezahlung der Stunden sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die unterschiedliche vertragliche Arbeitszeit allein rechtfertigt die schlechtere Behandlung nicht. Vielmehr müssten andere Sachgründe vorliegen, die z.B. auf Arbeitsleistung, Qualifikation, Berufserfahrung beruhen (vgl. BAG Urteil vom 24.09.2008 aaO) .
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Auch gibt es erkennbar keine anderweitige Kompensationsleistung.
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Als Rechtsfolge ergibt sich die Nichtigkeit der Mehrarbeitsvergütungsverordnung nach § 134 BGB. Die leistungsgewährenden Vertragsbestimmungen sind daher auf diejenigen Personen zu erstrecken, die entgegen dem Gebot der Gleichbehandlung von der Leistung ausgeschlossen sind.
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4. Entgegen der Auffassung der Klägerin lässt sich jedoch ein Stundensatz in Höhe von 36,00 € nicht ermitteln.
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Aus Sicht der Kammer gilt hier vielmehr Folgendes: Ausgehend von einem Grundbezug in Höhe von 1.960,29 EUR pro Monat und einem daraus resultierenden Vierteljahresbezug von 5.880,87 EUR, dividiert durch 13 Wochen, wiederum dividiert durch 14 Wochenstunden ergibt sich ein Stundensatz von 32,31 EUR.
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Mithin ergibt sich zugunsten der Klägerin eine noch zu zahlende Differenz in Höhe von 928,20 EUR brutto.
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Die Zinsforderung folgt aus §§ 286, 288 BGB.
77

5. Auf die von der Klägerin behauptete sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen aktiven Lehrern und solchen, die sich schon im Ruhestand befinden, kam es daher nicht mehr an.
78

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO und folgt der Quote des wechselseitigen Obsiegens und Unterliegens.
79

Die Revision war im vorliegenden Fall gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, da die hier zu entscheidende Frage noch für eine Vielzahl von teilzeitbeschäftigten Lehrern von Bedeutung sein kann.
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Der finanzielle Ausgleich von Stunden auf Grundlage der Mehrarbeitsvergütungsverordnung kann über die Reichweite des beklagten Bistums hinaus noch sämtliche Ersatzschulen etc. betreffen, für die teilzeitbeschäftigte Lehrer im Angestelltenverhältnis tätig sind.
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Die Rechtsfrage kann sich in einer Vielzahl weiterer Fälle stellen und berührt daher das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts (vgl. BAG Beschluss vom 28.06.2011, 3 AZN 146/11, NZA 2011, 939), insbesondere vor dem Hintergrund, dass es schon divergierende Entscheidungen – wenn auch der Verwaltungsgerichtsbarkeit – gibt.

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